
Stellungnahme der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft – ver.di |
Abschrift
ver.di
Ress. 12, FB 6
Bundesfachgruppen
Bundes- und Landesverwaltungen,
Finanz- und Steuerverwaltungen
Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Bundesverwaltung
ver.di • 10112 Berlin
Sigrid Müller
Bundesministerium der Finanzen
z.Hd. Herrn Michael Sell
Leiter der Steuerabteilung
Wilhelmstraße 97
10117 Berlin
Per E-Mail: IVA2@bmf.bund.de
Telefon: 030 69560
Durchwahl: -2111
Telefax: -3551
sigrid.mueller@verdi.de
www.verdi.de
Datum: 25. September 2015
Unsere Zeichen: mu/wn
Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens
(GZ: IV A 2 – S 1910/15/10043-02 / DOK: 2015/0682696)
Hier: Stellungnahme der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft – ver.di – zum Referententwurf
Sehr geehrter Herr Sell,
sehr geehrte Damen und Herren,
wir bedanken uns für die Information und die zugesandten Unterlagen.
Die Möglichkeit, eine schriftliche Stellungnahme zum Referentenentwurf abzugeben nehmen wir gerne wahr. Mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund ist dieses Verfahren abgestimmt.
Sie findet beigefügt die ver.di-Stellung zum Referentenentwurf und wir stehen Ihnen für Rückfragen, Erläuterungen oder Erörterungen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
gez.
Sigrid Müller
Anlage
Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens
Das geplante Gesetz zur „Modernisierung des Besteuerungsverfahrens“ führt aus Sicht von ver.di zur Verfassungswidrigkeit des Besteuerungsverfahrens.
Zu den Vorbemerkungen
Zu A:
Die Aussage, dass Deutschland einen gut funktionierenden Steuervollzug habe, ist unzutreffend. Der Bundesrechnungshof hat den Steuervollzug wiederholt kritisiert. Die Steuerverwaltungen der Länder werden von den jeweiligen Landesregierungen personell erheblich geringer ausgestattet, als es nach den Berechnungen der „Arbeitsgruppe Personalbemessung der Steuerverwaltung der Länder“ erforderlich wäre. Die Steuerverwaltungen können daher einen gesetzmäßigen Steuervollzug und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht gewährleisten.
Zu B und C:
Die Gleichmäßigkeit der Besteuerung wird nicht gesichert. Es ist die Rede von den „gegebenen Bedingungen“, als wären diese quasi naturgesetzlich festgelegt. Bei den „gegebenen Bedingungen“ handelt es sich um die nicht ausreichende Personalausstattung der Steuerverwaltungen der Länder. Es ist ein Trugschluss anzunehmen, eine stärkere Serviceorientierung der Steuerverwaltung könne nur durch stärkere IT-Unterstützung und strukturelle Verfahrensanpassungen mit gleich bleibender oder sinkender Personalausstattung erreicht werden. Die Arbeitsgruppe „Personalbemessung“ der Steuerverwaltungen der Länder erstellt permanent aktualisierte bundeseinheitliche Grundlagen für die Berechnung des Personalbedarfs. Alle Steuerverwaltungen der Bundesländer bleiben jeweils mit ihrer Personalausstattung erheblich unter den Ergebnissen der Personalbedarfsberechnung. Das Gesetzesgebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (§ 85 AO) wird daher schon lange nicht mehr eingehalten. Die bisherigen politischen Ankündigungen zur Vereinfachung der Steuergesetze und der Verfahrensabläufe sind regelmäßig durch kompliziertere Gesetzesvorschriften konterkariert worden.
Die personelle Unterausstattung wird trotz zunehmenden gravierenden körperlichen und psychischen Verschleißes bei den eingesetzten Beschäftigten derzeit nicht in Frage gestellt. Der Öffentlichkeit soll vermittelt werden, dass technische und organisatorische Maßnahmen, wie z. B. das Risikomanagement, die Arbeit von Beschäftigten der Steuerverwaltung automatisch ersetzen könnten. Der damit verbundene Mangel an Arbeitsqualität und an Einhaltung der materiellen steuerlichen Vorschriften wird in Kauf genommen.
Bund und Länder haben in der Vergangenheit zu wenig getan, um diesen Mangel zu beheben und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu sichern. Der Bund muss in den Zielvereinbarungen mit den Ländern nach § 21a FVG eine Personalausstattung nach den Ergebnissen der Personalbedarfsberechnung in voller Höhe sicherstellen.
Zu den vorgesehenen Gesetzesänderungen
§ 29a AO
Eine „flexible Arbeitsorganisation“, damit die Mitarbeiter eines Finanzamts an ihren vorhandenen Arbeitsplätzen Veranlagungsarbeiten oder andere Tätigkeiten im Besteuerungsverfahren auch für ein anderes Finanzamt rechtswirksam durchführen können, wird abgelehnt. Eine solche Flexibilisierung dient ausschließlich dazu, eine weitere Belastung für die Beschäftigten zu ermöglichen und den Arbeitsdruck zu erhöhen. Die in der Begründung enthaltene Feststellung, dass die personalvertretungsrechtlichen Vorschriften unberührt bleiben, ist zu begrüßen. (?)
§ 88 AO
Grundsätzlich:
Im Hinblick auf die vorgeschlagenen Änderungen des § 88 AO halten wir das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens für verfassungswidrig.
Der in § 88 Abs. 1 Satz 1 AO festgelegte Grundsatz, „ die Finanzbehörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen“ (Untersuchungsgrundsatz) wird durch den vorgelegten Neuentwurf so weit ausgehöhlt, dass von einem gerechten und ausreichenden Steuervollzug nicht mehr ausgegangen werden kann.
Ausgangslage:
Seit Jahren bleibt die personelle Ausstattung der Finanzämter bundesweit deutlich unter dem von der Arbeitgeberseite selbst festgestellten Personalbedarf. Nach den Berechnungen der Bundesfachkommission Steuerverwaltung fehlen bundesweit rund 11.000 Stellen. Die vorhandenen Stellen sind darüber hinaus häufig nicht vollständig besetzt. Umgerechnet fehlen bundesweit rund 40 große Finanzämter.
Jedes Bundesland ist durch das föderale Prinzip in der Lage, Prüfungsdichte, Prüfungsintensität und Prüfungsschwerpunkte selbst festzulegen. Bundeseinheitliche Standards existieren nicht. Der Bund versucht, ausgehend von seinen ihm im § 21a Finanzverwaltungsgesetz eingeräumten gesetzlichen Möglichkeiten, mit den Ländern Zielvereinbarungen abzuschließen. Diese beziehen sich aber auf rein quantitative Erledigungswerte, Vorgaben zur Personalausstattung werden peinlichst vermieden. Dies führt beispielsweise dazu, dass die wirtschaftlich extrem starken Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg zugleich die geringste Anzahl an Steuerfahndern pro 1000 Einwohner haben.
Seit 1998 ist die Zahl der Stellen für Steuerfahnderinnen und Steuerfahnder bundesweit auf 2987 festgelegt. Trotz steigender Zahl der Fälle; trotz erhöhter Datenmengen, die geprüft werden müssen. Die Steuerfahndungsstellen sind zudem bis heute nicht über die Bundeslandsgrenzen hinaus miteinander vernetzt.
Der neue § 88 legt nunmehr fest, dass
- Weisungen erteilt werden können, welche Fälle wie zu prüfen sind (und welche Fälle nicht zu prüfen sind)
- Fälle durch so genannte Risikomanagementsysteme laufen können
- Fälle vollautomatisiert verarbeiten werden können.
Dabei sollen die Weisungen und die Prüfparameter nicht veröffentlicht werden.
Es ist naiv anzunehmen, dass die Prüfparameter nicht umgehend bekannt würden. Hinzu kommt, dass in sehr kurzer Zeit Programme geschaffen würden, die die Abweichungen zwischen erklärten und veranlagten Werten übergreifend feststellen und den Spielraum für ungeprüfte Angaben ermitteln könnten.
Ein Wesen eines Rechtsstaats ist die Gewaltenteilung, in Artikel 20 Abs. 3 GG geregelt. „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“
Die Finanzämter sind als Teil der Exekutive verpflichtet, die Steuergesetze zu vollziehen. Dabei ist der Gleichheitsgrundsatz gemäß Artikel 3 GG zu wahren.
Dazu zitieren wir die Leitsätze des Urteils des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 2004 – 2 BvL 17/02 – :
- Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen (Anschluss an BVerfGE 84, 239 ).
- Verfassungsrechtlich verboten ist der Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und der nicht auf Durchsetzung angelegten Erhebungsregel. Zur Gleichheitswidrigkeit führt nicht ohne weiteres die empirische Ineffizienz von Rechtsnormen, wohl aber das normative Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts.
Wie der Begriff Risikomanagement schon signalisiert, soll durch softwaregesteuertes Abprüfen von Verhältnissen verschiedener Kennziffern zueinander bzw. Abgleichen der Werte mit den Vorjahren das Risiko von Steuerausfällen durch nicht erfolgte Sachverhaltsaufklärung minimiert werden.
Was macht das Programm? Es vergleicht Zahlen mit Zahlen; es prüft also immer nur der Höhe nach, nicht dem Grunde nach, ob ein Sachverhalt vorliegt, an den ein Steuergesetz eine Steuerpflicht knüpft.
Wer steuert das Programm? Wer sagt den Programmiern, ab welchen Abweichungen, ab welchen Verhältnismäßigkeiten, ab welcher absoluten Höhe einer Kennziffer das Programm dem Sachbearbeiter, der Sachbearbeiterin vorschreibt, dass eine Überprüfung zu erfolgen hat. Wer sagt dem Programmierenden, wie weit er den Prüfungsauftrag programmtechnisch einzustellen hat?
Aufgrund welcher Legitimation werden diese Programme erstellt? Der Gesetzgeber, der Bundestag, ggf. gemeinsam mit dem Bundesrat, erlässt ein Gesetz. Dieses Gesetz hat die Exekutive, haben im Fall von Steuergesetzen die Finanzämter umzusetzen. Es geht nicht an, dass der Gesetzesvollzug am Parlament vorbei und ohne Überprüfungsmöglichkeit durch die Judikative programmgesteuert unterbunden werden kann. Da die Prüfparameter und die Anweisungen hierzu geheim bleiben sollen, können sie ja wohl nicht durch den Gesetzgeber festgelegt werden. Durch willkürlich in den Verwaltungen des Bundesfinanzministeriums bzw. der Landesfinanzministerien festgelegte Prüfungsparameter wird indirekt Gesetzgebung praktiziert, nämlich Steuervereinfachung durch Nichtanwendung der Gesetze. Dies hebt aber die Gewaltenteilung auf.
Der Leitsatz des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 7. April 2015 zur Grunderwerbsteuer – 1 BvR 1432/10 – lautet:
Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesichtspunkt der Vereinfachung der Verwaltungstätigkeit vielfach als Rechtfertigungsgrund für eine Typisierung und Pauschalierung anerkannt. Steuergesetze betreffen in der Regel Massenvorgänge des Wirtschaftslebens. Sie müssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und dabei in weitem Umfang die Besonderheiten des einzelnen Falls vernachlässigen. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Steuerzahler darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die steuerlichen Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen.
Die Lohneinkünfte werden an der Quelle erfasst, automatisch den Finanzbehörden gemeldet und auch an der Quelle die darauf entfallende Lohnsteuer automatisch einbehalten.
Insbesondere Freiberufler, die lediglich Einnahmenüberschussrechnungen erstellen müssen, Menschen mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung und Kapitaleinkünften, aber auch Gewerbetreibende ermitteln ihre Einnahmen und Ausgaben und ihre Einkünfte selbst und geben sie in der Steuererklärung an, ohne dass eine Besteuerung an der Quelle erfolgt.
Die Bearbeitung eines Steuerfalles soll nach Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten erfolgen. Wer legt Wirtschaftlichkeiten fest? Eine steuerliche Auswirkung von 1.000 Euro liegt unterhalb der festgelegten Bagatellgrenzen von 2.500 Euro. Bei einem Langzeitsachverhalt wäre diese Grenze aber bereits im dritten Jahr überschritten.
Der im Entwurf vorgelegte § 88 AO erlegt der Wirtschaftlichkeit, der Anzahl der vollautomatisch zu veranlagenden Steuerfälle und der „Strenge“ der Prüfungsparameter keine Begrenzung auf.
Eine Gleichmäßigkeit in der Besteuerung, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, ist aber durch die sehr unterschiedliche Behandlung der Steuerarten und die nicht kontrollierbaren Programmierung der Prüfprogramme nicht mehr gegeben.
Die vorgeschlagene Änderung des § 88 AO enthält wie oben ausgeführt den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung. Dabei muss abgewogen werden zwischen Ressourceneinsatz und steuerlichem Ergebnis der Prüfung. Die bisherige politische Praxis hat gezeigt, dass der Begriff der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung ausschließlich als Verminderung der Personalzahl verstanden wird. Im Interesse der Gesetzesanwendung muss es einem oder einer Beschäftigten der Steuerverwaltung jederzeit möglich sein, eine personelle Prüfung von steuerlichen Sachverhalten des Zuständigkeitsbereichs vorzunehmen. Die reine reaktive Bearbeitung auf Grund von Hinweisen des Risikomanagements ist abzulehnen. Das Risikomanagement darf nicht zur Entmündigung der Bearbeiter/innen und nicht zur höheren Arbeitsverdichtung führen. Eventuell frei werdende Kapazitäten sind zu einer Verbesserung des Steuervollzugs zu nutzen.
Zu Abs. 2:
Die Neufassung des § 88 Abs. 2 AO setzt den Untersuchungsgrundsatz und das in § 85 AO festgelegte Legalitätsprinzip zum Teil außer Kraft. Dem Vorrang wirtschaftlicher Überlegungen vor der Gesetzeserfüllung wird hier Tür und Tor geöffnet wird. Die Regelung ist daher abzulehnen.
Zu Abs. 3:
Es ist eine massive Einschränkung der gesetzlich gebotenen Aufklärungspflicht, wenn über bundesweite Erlasse festgelegt wird, wie hoch der „zweckmäßige“ oder „wirtschaftliche“ Zeitaufwand für die Bearbeitung bestimmter Fallgruppen ist. Da jeder Steuerfall anders liegt, muss bei den ausgesteuerten und somit risikobehafteten Fällen auch tatsächlich eine Prüfung ohne Zeit- und Inhaltsvorgaben erfolgen. Eine Vorgabe der Fallerledigung im Hinblick auf die Zweckmäßigkeit ist nicht verfassungskonform und dient nur einem weiteren Personalabbau. Bisher ist jede interne Regelung der Finanzverwaltung den steuerberatenden Berufen umgehend bekannt geworden. Erfahrungen zeigen, dass dies auch weiterhin der Fall sein wird. Steuerberater werden Schlupflöcher im Risikomanagement nutzen, die zu Steuerausfällen führen und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung weiter beschädigen.
Zu Abs. 4:
Seit Jahren ist eine Kernforderung zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung durch Kapitaltransfer in andere Staaten, dass der automatische Informationsaustausch auf möglichst viele Staaten ausgeweitet wird. Es ist deshalb unverständlich, dass die so erhaltenen Daten nur noch eingeschränkt ausgewertet werden. Wenn über die auf der Grundlage der EU-Zinsrichtlinie eingegangenen Daten ggf. ein „Risikofilter“ läuft, um einen Teil dieser Daten nicht weiter auszuwerten, dann ist dies absolut kontraproduktiv. Gerade solche Kapitaleinkünfte, die nicht eindeutig bestimmten Personen zuzuordnen sind, bedürfen einer besonderen Aufklärung. Eine Nichtauswertung oder eine Aussteuerung über Risikofilter wäre ein äußerst negatives Zeichen für jene EU-Staaten, die Daten an Deutschland übermitteln. Auch kleinere Beträge können Hinweise darauf geben, dass überhaupt Auslandsbeziehungen bestehen.
Zu Abs. 5:
Das IT-gestützte Risikomanagement erweckt den Eindruck, als würden die Steuergesetze eingehalten und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung gewährleistet. Der Bundesrechnungshof hat bereits in seinem Bericht vom 17. Januar 2012 festgestellt, welche Mängel das Risikomanagement beim Vollzug der Steuergesetze im Arbeitnehmerbereich hat. Diese Mängel würden sich im Bereich der Unternehmensbesteuerung verstärkt auswirken. Beim Einsatz des Risikomanagements müssen die Hinweise des Bundesrechnungshofs beachtet werden.
§ 156 Abs. 2 Satz 1 AO
Das Absehen von einer Steuerfestsetzung nach § 156 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 AO darf nur erfolgen, wenn das Verhältnis von den Kosten der Einziehung einschließlich der Festsetzung im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung und eines entsprechenden Aktenvermerks festgestellt worden ist. Das Absehen der Steuerfestsetzung von einer Prognoseentscheidung abhängig zu machen, führt zu Missbrauch und Willkür.
§ 156 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 AO
Es ist zu befürchten, dass von dieser Vorschrift zu Lasten der Gleichmäßigkeit der Besteuerung Gebrauch gemacht wird. Auch hier ist davon auszugehen, dass die steuerberatenden Berufe schnell Kenntnis von den entsprechenden Weisungen erhalten werden. Aus der Begründung geht hervor, dass auch Kontrollmitteilungen unter eine solche Weisung fallen können. Wir beziehen uns dazu auf unsere Ausführungen zu § 88 Abs. 4 AO.
§ 261 AO
Bei einer Niederschlagung nach § 261 Nr. 2 AO muss weiterhin feststehen, dass die Erhebung keinen Erfolg haben wird und dass das Verhältnis der Kosten der Einziehung zum Erfolg der Erhebung in keinem vertretbaren Verhältnis stehen wird. Das muss in einem Aktenvermerk festgestellt werden. Eine Niederschlagung von einer reinen Prognoseentscheidung abhängig zu machen, und führt zu Missbrauch und Willkür. Im Übrigen ist wird das Einziehen von Steuerforderungen aufgrund der schlechten Personalsituation derzeit wenig intensiv betrieben.
§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG
Der Unterschied in der Behandlung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Vergleich zu Bezieherinnen und Beziehern von Kapitalerträgen wird hier besonders deutlich. Aus ver.di-Sicht müssen Kreditinstitute Mitteilung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer ihrer Kunden automatisch an das Finanzamt übermitteln, ebenso wie bereits alle Daten von Arbeitnehmern/innen und Rentnern/innen elektronisch übermittelt werden. So können über die Verprobung des Abzugs von Kapitalerträgen Rückschlüsse auf nicht versteuerte Einnahmen gezogen werden. Nicht hinzunehmen ist der flächendeckende Verzicht auf die Vorlage dieser Belege. Angesichts der mangelnden Personalausstattung der Finanzämter würden diese fast ausschließlich nicht angefordert. Falschen Angaben, die sich direkt steuerlich auswirken, ist damit Tür und Tor geöffnet.
§ 46 Abs. 3 und 5 EStG
Beim Wegfall der Härteausgleichsregelung geht es nicht nur um Wirtschaftlichkeitserwägungen. Das Streichen dieser Regelung stellt im Ergebnis eine Steuererhöhung für Arbeitnehmer dar, die Nebeneinkünfte erzielen. Wir lehnen den Wegfall der Absätze 3 und 5 und damit den Wegfall des § 70 EStDV daher strikt ab.
Zusammenfassend stellen wir fest:
Das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens ist aus ver.di-Sicht in wesentlichen Teilen verfassungswidrig. Der durch personelle Unterausstattung von den Ländern selbst herbeigeführte mangelnde Vollzug der Steuergesetze würde durch die neue Gesetzgebung verstärkt und nicht gemindert.
ver.di | Fachbereich Bund + Länder NRW – …
ver.di
Fachbereich Bund + Länder NRW
ver.di und DGB lehnen das BMF-Konzept „Modernisierung des Besteuerungsverfahrens“ ab
Im vorigen Jahr haben die Abteilungsleiter/innen Steuer und Organisation der Steuerverwaltungen der Länder unter Federführung des BMF ein Konzept zur „Modernisierung des Besteuerungsverfahrens“ erarbeitet. Es umfasst mit den Änderungsvorschlägen zu Gesetzestexten 93 Seiten und ist auf der Website des BMF – bundesfinanzminsterium.de – abrufbar. Eine Beratung durch Steuerberaterkammer und -verband, Lohnsteuerhilfevereine, Wirtschaftsverbände und große Wirtschaftsprüfungsgesellschaften hat stattgefunden. Die Gewerkschaften der im Besteuerungsverfahren Beschäftigten wurden in diesem Stadium nicht beteiligt. Man kann sich denken warum.
Der DGB hat das Konzept im Herbst dann auch noch zur Stellungnahme erhalten und sie im Januar 2015 unter maßgeblicher Vorarbeit von ver.di abgegeben. Ihren Inhalt stellen wir hier in kurzer Form dar: Das BMF sieht seine Motivation und seine Handlungsfelder in der weiteren Entwicklung und Ausweitung des Einsatzes der Informationstechnologie, um mit den bisherigen begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen auszukommen. Es behauptet eine stärkere Serviceorientierung, eine stärkere Unterstützung von Arbeitsabläufen und strukturelle Verfahrensanpassungen mit dem Ziel einer nachhaltig wirtschaftlichen Aufgabenerfüllung.
Besonderen Stellenwert soll die „Wirtschaftlichkeit des Handelns“ der Steuerverwaltung angesichts der technischen Möglichkeiten und der demografischen und globalen Entwicklungen haben. Eine Konzentration des noch vorhandenen Personals auf sogenannte risikoträchtige Steuerfälle soll erfolgen. Das Besteuerungsverfahren soll risikoorientiert ausgestaltet werden, was nichts anderes bedeutet, als dass vier von fünf Steuerfällen vollautomatisch bearbeitet werden sollen. Wirtschaftlichkeit des Handelns bedeutet nach diesem Gesetzesentwurf nicht die gesicherte Anwendung der gültigen Steuerrechtsvorschriften sondern die statistische Erledigung eines Steuerfalls im Sinne einer überhaupt erfolgten Steuerfestsetzung. Wirtschaftlichkeits und Zweckmäßigkeitsaspekte sollen aber nicht auf Kosten der Bürger und Unternehmen gehen…
ver.di und der DGB kritisieren, dass an keiner Stelle des Konzepts ein Hinweis auf die Personalausstattung der Finanzämter auftaucht. Für ver.di bedeutet eine stärkere Serviceorientierung für den Steuerbürger, dass IT eingesetzt wird, um für die (nach dem Grundgesetz gebotene) Gleichmäßigkeit der Besteuerung aller Bürgerinnen und Bürger, egal wie reich, egal in welchem Bundesland ansässig, zu sorgen. Es ist ein Trugschluss anzunehmen, dass eine stärkere Serviceorientierung durch stärkere IT-Unterstützung und strukturelle Verfahrensanpassungen mit gleich bleibender oder sinkender Personalausstattung erreicht werden kann. Zudem gibt es einen Maßstab für die Personalausstattung, der von den Länderfinanzministerien selbst erarbeitet wird. Die Arbeitsgruppe Personalbemessung der Steuerverwaltungen der Länder erstellt permanent aktualisierte bundeseinheitliche Grundlagen für die Berechnung des Personalbedarfs. Alle Steuerverwaltungen der Länder bleiben jeweils mit ihrer Personalausstattung erheblich unter den Ergebnissen der Personalbedarfsberechnung.
Das ist ein seit Jahren bestehender Skandal. Die Unterausstattung mit Personal wird von den politisch Verantwortlichen quasi zum Naturgesetz erklärt, um dann mit schönen Worten und verschiedenen Winkelzügen die Funktionsfähigkeit der Steuerverwaltung und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu beschwören. Der schon jetzt durch die IT-Verfahren vorgegebene und wegen der personellen Unterausstattung nicht zu verhindernde Mangel an Arbeitsqualität und die fehlende Überprüfung der Einhaltung des weiterhin immer komplizierter werdenden deutschen Steuerrechts wird in Kauf genommen. Von Gleichmäßigkeit der Besteuerung kann aus Sicht der Gewerkschaften schon lange keine Rede mehr sein.
Doch damit noch nicht genug: Mit dem neuen Gesetz soll der § 88 AO (Untersuchungsgrundsatz) unter die Maxime der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung gestellt werden (Wirtschaftlichkeit = Erledigung des Steuerfalls ohne Personaleinsatz bei behaupteter Richtigkeit der gemachten Angaben). Die Beratungs- und Hinweispflicht der Finanzbehörde (§ 89 AO) wird für die vollautomatische Festsetzung außer Kraft gesetzt. Bei der Abweichung von nicht verkennzifferten Angaben des/r Steuerpflichtigen soll bei vollautomatischer Steuerfestsetzung keine Begründung mehr erforderlich sein. Freiwillig von Steuerpflichtigen beigefügte Belege oder Aufstellungen sollen nicht zu einer Aussteuerung des Falles führen und nicht berücksichtigt werden. Die obersten Finanzbehörden können Weisungen für die Behandlung bestimmter Fallgruppen nach Wirtschaftlichkeits- und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten erlassen. Das BZSt darf nach der EU-Zinsrichtlinie von anderen Staaten übermittelte Daten risikoorientiert selektieren. Kontrollmaterial soll ebenfalls unter Risikogesichtspunkten beurteilt werden, natürlich programmgesteuert.
Bei der Niederschlagung von Beträgen sollen Wirtschaftlichkeitserwägungen eine Rolle spielen. Die flexible Arbeitsorganisation durch Tätigkeiten für ein anderes Finanzamt soll ohne „bürokratische Hürden“ wie Dienst- oder Personalvertretungsrecht möglich sein. Wir setzen dagegen, dass eine solche Arbeitsorganisation nur mit Zustimmung der Personalvertretung möglich sein darf. Auf die Vorlage von Kapitalertragsteuer-Bescheinigungen soll völlig verzichtet werden. Von einer Pflicht zur elektronischen Übermittlung dieser Belege wird abgesehen, weil das die Kreditinstitute zu sehr belasten könnte. Komisch nur, dass Arbeitnehmerdaten flächendeckend übermittelt werden können.
Alle diese Vorschriften sollen verschleiern, dass zu wenig Personal vorgehalten wird. Grundsätze des deutschen Steuerrechts werden unterlaufen, um möglichst flächendeckend vollautomatische Steuerfestsetzungen zu ermöglichen. Auch die Rechte der Steuerpflichtigen werden zu diesem Zweck beschnitten.
Dieses Konzept unterläuft endgültig die verfassungskonforme Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns. Es macht die Beschäftigten im Innendienst der Steuerverwaltung nur noch zu Handlangern eines vorgegebenen IT-Systems, denen jegliches eigene Denken und Handeln abgenommen wird, und untergräbt noch dazu ihre Arbeitnehmerrechte. Im Ergebnis werden die Steuerpflichtigen mit Einkünften aus Unternehmertätigkeit und Vermögen bevorteilt, weil sie ihre Daten selber melden, mit einer Überprüfung kaum noch rechnen müssen und dabei ohnehin mehr steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten haben. So darf die „Modernisierung des Besteuerungsverfahrens“ nicht aussehen. Die Modernisierung muss vielmehr zu einem besseren Steuervollzug führen und darf nicht nur einer Verwaltung des Mangels dienen. ver.di fordert daher eine Personalausstattung mindestens nach den Ergebnissen der Personalbedarfsberechnung.
Quelle: Bund und Länder Journal 1/2015
21.09.2015 14:58
Quellennachweis:
https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/18_Legislaturperiode/Gesetze_Verordnungen/2016-07-22-Steuermodernisierungsgesetz/Stellungnahme-22-verdi.pdf?__blob=publicationFile&v=3
Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens
HTTPS://STE-U-ERR-ECHT.COM/REFERENTENENTWURF/
Stellungnahme zum Referentenentwurf
HTTPS://STE-U-ERR-ECHT.COM/STELLUNGNAHME/
Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens
HTTPS://STE-U-ERR-ECHT.COM/BGBL/
vom 18. Juli 2016 (BGBl. I S. 1679)
Steuerberaterprüfung – Ertragsteuerrecht
HTTPS://STE-U-ERR-ECHT.COM/STEUERBERATERPRUEFUNG-ERTRAGSTEUERRECHT/
§ 2 EStG– Umfang der Besteuerung, Begriffsbestimmungen
HTTPS://STE-U-ERR-ECHT.COM/%C2%A72ESTG/
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