Übungsaufgabe 3 – Vertretungsmacht
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Sérgio Fernandes Fortunato,
Übung im Zivilrecht für Anfänger II und Magister- und Erasmusstudierende


Abschrift


– Fall 1 –
Lösungsskizze


I. Anspruch des E gegen K auf Herausgabe des Fahrrades nach §§ 985, 986 BGB


1.Eigentümerstellung des E
a)Einigung nach § 929 S. 1 BGB
aa)Einigungsangebot
(1)Vorliegen einer eigenen Willenserklärung
(2)Wirksamkeit der Willenserklärung
(3)…in fremdem Namen… – Offenkundigkeitsprinzip
(4)mit Vertretungsmacht
(a)Rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht
(b)Gesetzliche Vertretungsmacht
(c)Duldungsvollmacht
bb)Einigungsannahme
(1)Adressat der Willenserklärung
(2)Inhalt der Erklärung
(3)Vertretungsmacht
(4)Zwischenergebnis
b)Übergabe nach § 929 S. 1 BGB
(aa)Besitzdienerschaft des M, § 855 BGB:
(bb)Auswirkungen des Rechtsscheins:
c)Berechtigung des E
2.Ergebnis

II. Anspruch des E gegen K aus § 861 BGB


1.Früherer Besitz des E
2.Besitzverlust durch verbotene Eigenmacht
3.Fehlerhafte Besitzposition des K
4.Ergebnis

III. Anspruch des E gegen K aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB


1.Kondiktionsgegenstand – „…etwas erlangt…“
2.Leistungshandlung
3.Rechtsgrund
a)Zustandekommen des Vertrages zwischen E und K durch wirksame Stellvertretung des E durch M
b)Zustandekommen des Vertrages zwischen E und K durch die §§ 164 ff. BGB analog
c)Sonstige Vertragsschlusserfordernisse nach § 64 BGB analog
4.Ergebnis

– Fall 1 –
Lösungsvorschlag


I. Anspruch des E gegen K auf Herausgabe des Fahrrades nach §§ 985, 986 BGB

Dem E steht ein Anspruch aus § 985 BGB gegenüber K zu, wenn E Eigentümer des Fahrrades ist und K nichtberechtigter Besitzer (§ 986 BGB).


1. Eigentümerstellung des E

Der E müsste Eigentümer des Fahrrads sein. Ursprünglich war der E Eigentümer des Fahrrads. Er könnte aber sein Eigentum an dem Fahrrad nach § 929 S. 1 BGB verloren haben, indem sich M als Vertreter des E mit dem K wirksam über den Eigentumswechsel geeinigt haben, dem K das Fahrrad auf Veranlassung des E übergeben wurde und der E zur Eigentumsübertragung berechtigt gewesen ist.


a) Einigung nach § 929 S. 1 BGB

Eine Einigung nach § 929 S. 1 BGB ist ein dinglicher Vertrag, der durch zwei korrespondierende Willenserklärungen, Angebot und Annahme, zustande kommt.


aa) Einigungsangebot

Der E selbst hat kein Einigungsangebot abgegeben. Der M könnte aber das Einigungsangebot abgegeben haben, in dem er den K empfiehlt, das linke Fahrrad zu nehmen. Dieses Angebot ist dem E gem. § 164 Abs. 1 BGB zuzurechnen, wenn E im Namen des E und mit Vertretungsmacht eine eigene Willenserklärung abgegeben hat.


(1) Vorliegen einer eigenen Willenserklärung

In der Empfehlung des M liegt aus der Sicht eines objektiven Dritten in der Rolle des Erklärungsempfängers ein bindendes Einigungsangebot, wenn sich dieses als eine eigene Willenserklärung des M darstellt. Eine eigene Willenserklärung liegt vor, wenn der Handelnde nicht nur eine fremde Willenserklärung übermittelt (Botenschaft), also bloß für den Zugang einer fremden Willenserklärung sorgt, sondern selbst rechtsgeschäftlich tätig wird. Vereinfacht gesagt, liegt immer dann Stellvertretung vor, wenn die Mittelsperson über das „Ob“ und „Wie“ des Vertrages entscheiden kann, während der Bote nur eine vorgefertigte Erklärung übermittelt. Die Abgrenzung findet im Wege der Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont statt. Es kommt also darauf an, wie ein objektiver Empfänger das Auftreten der Mittelsperson verständigerweise beurteilen musste. M hat aus der Sicht eines objektiven Dritten einen Entscheidungsspielraum, welches Fahrrad er dem K mitgibt, so dass eine eigene Willenserklärung des M vorliegt.


(2) Wirksamkeit der Willenserklärung

Das Angebot des M müsste auch wirksam geworden sein. Eine empfangsbedürftige Willenserklärung wird mit Abgabe und Zugang wirksam. M hat sich der Willenserklärung willentlich entäußert, sie also abgegeben. Dieses hat K auch vernommen, so dass sie in seinem Machtbereich gelangt ist.


(3) …in fremdem Namen… – Offenkundigkeitsprinzip

Auch wenn der M nicht ausdrücklich im Namen des E gehandelt hat, war er jedoch Ladenangestellter, so dass sich aus den Umständen ergibt, dass M im Namen des E gehandelt hat (§ 164 Abs. 1 S. 2 BGB).


(4) mit Vertretungsmacht

M müsste das Angebot weiterhin auch mit Vertretungsmacht abgegeben haben.

(a)Rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht: E hat dem M ausdrücklich untersagt, Geschäfte zu tätigen. M hatte daher keine rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht.
(b)Gesetzliche Vertretungsmacht: Der M arbeitet jedoch im Laden des E. Folglich könnte er nach § 56 HGB als ermächtigt gelten, Fahrräder zu verkaufen. Dann müsste E ein Handelsgewerbe betreiben. Ein Handelsgewerbe betreibt gemäß § 1 HGB jeder Gewerbebetrieb, es sei denn, dass das Unternehmen nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert. E betreibt jedoch sein Fahrradgeschäft nebenberuflich und hat nur an zwei Tagen für vier Stunden geöffnet. Sein Unternehmen bedurfte daher keines in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebs. E betreibt daher gerade kein Handelsgewerbe. § 56 HGB findet daher keine Anwendung.
(c)Duldungsvollmacht: Dadurch dass der M wiederholt im Namen des E auftritt, ohne von diesem Bevollmächtigt worden zu sein, könnten die Grundsätze der Duldungsvollmacht eingreifen. Rechtsfolge der Duldungsvollmacht ist, dass obwohl keine rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht vorliegt, der Vertretene sich so behandeln lassen muss, als läge eine wirksam erteilte Vollmacht vor.
Eine Duldungsvollmacht setzt voraus, dass ein Rechtsschein der Bevollmächtigung vorliegt, der Vertretene Kenntnis davon hat, dass jemand rechtsgeschäftlich in seinem Namen auftritt und er dieses nicht verhindert, obwohl es ihm möglich wäre. Schließlich muss der Geschäftsgegner das Rechtsgeschäft in Vertrauen auf den Rechtsschein getätigt haben, also gutgläubig gewesen sein.
M hat wiederholt im Namen des E Geschäfte getätigt ohne von diesem ermächtigt worden zu sein. Ein Rechtsschein der Bevollmächtigung liegt daher vor. Auch hatte E Kenntnis hiervon. Fraglich ist, ob E nicht dadurch eingeschritten ist, dass er M das weitere Handeln in seinem Namen verboten hat. Dadurch hat E aber nicht verhindert, dass M weiter in seinem Namen auftritt. Vielmehr hätte er seine Geschäftspartner davon informieren müssen, dass M keine Vertretungsmacht besaß. K konnte auch nicht erkennen, dass der M nicht dazu befugt war Geschäfte für E zu tätigen. Bei Abschluss des Rechtsgeschäftes vertraute er daher gerade auf die Vollmacht des M. Die Grundsätze der Duldungsvollmacht liegen daher vor. E muss sich daher so behandeln lassen, als hätte er M wirksam bevollmächtigt. M hat also ein wirksames Angebot zum Eigentumswechsel des Fahrrades abgegeben, dass für und gegen E wirkt.

bb) Einigungsannahme

Weiterhin ist für den Vertragsschluss die Annahme des Angebots erforderlich. Indem sich K mit dem Angebot des M einverstanden erklärt, hat er die Annahme über den Eigentumswechsel des Fahrrades erklärt. Diese Annahme des K müsste auch wirksam geworden sein. Allein fraglich ist der Zugang der Annahmeerklärung bei E. Zugegangen ist eine Willenserklärung dann, wenn sie in den Machtbereich des Empfängers gelangt und dieser die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat. E selbst ist die Willenserklärung nicht zugegangen. Ist jedoch ein Empfangsvertreter gem. § 164 Abs. 3 BGB eingeschaltet, so geht die Erklärung dem Geschäftsherren zu, wenn sie dem Empfangsvertreter zugeht, also in dessen Machtbereich gelangt und dieser die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat. M hat die Erklärung des K vernommen, sie ist also in diesem Zeitpunkt dem M zugegangen. E muss sich diesen Zugang zurechnen lassen, wenn M der Empfangsvertreter des E ist. Die passive Stellvertretung gem. §§ 164 Abs. 3, 1 BGB setzt voraus, dass M Adressat der Erklärung sein soll, die Erklärung gegenüber M Rechtswirkungen entfalten soll und M Vertretungsmacht für den Empfang der Willenserklärung hat.


(1) Adressat der Willenserklärung

Passiver Stellvertreter kann nur derjenige sein, der Adressat der Erklärung des Dritten ist. Der Erklärende muss die Erklärung so erklärt haben, als solle sie dem Empfangsvertreter gegenüber Rechtswirkungen entfalten. Dieser darf nicht lediglich als Überbringer (Bote) der Willenserklärung an den Hintermann angesehen werden. Aufgrund der Tatsache, dass der M alleine im Geschäft des E tätig war, musste ein objektiver Dritter davon ausgehen, dass der M entsprechenden Entscheidungsspielraum innehatte, so dass M nicht lediglich als Überbringer der Annahmeerklärung an den E anzusehen ist. M ist daher Adressat der Willenserklärung.


(2) Inhalt der Erklärung

Aus den Umständen wird auch deutlich, dass die Rechtswirkungen der Annahmeerklärung E und nicht M treffen sollen.


(3) Vertretungsmacht

Letztlich müsste M auch mit Vertretungsmacht die Willenserklärung des K vernommen haben. Wie bei der Abgabe des Angebots durch M kann K vorliegend auf die Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins, in Form der Duldungsmacht, vertrauen.


(4) Zwischenergebnis

K hat daher wirksam die Annahme zur Eigentumsübertragung an dem Fahrrad erklärt. Dass M als Siebzehnjähriger beschränkt geschäftsfähig ist (§§ 2, 106 BGB), beeinträchtigt nicht das Wirksamwerden der Annahmeerklärung, § 165 BGB.


b) Übergabe nach § 929 S. 1 BGB

Dem K müsste das Fahrrad auch auf Veranlassung des E übergeben worden sein. Eine Übergabe setzt voraus, dass der Erwerber Besitz an der Sache erlangt und dass der Veräußerer, auf seine Veranlassung hin, jeglichen Besitz verliert. Der K übt die tatsächliche Sachherrschaft über das Fahrrad aus. Er hat somit den Besitz an der Sache erlangt.

aa)Besitzdienerschaft des M, § 855 BGB: Diese Besitzerlangung müsste auf Veranlassung des E geschehen sein. Der E hat den Besitz aber weder selbst auf K übertragen, noch hat er den M ausdrücklich veranlasst dieses zu tun. Der M könnte aber nach § 855 BGB Besitzdiener des E sein. Dann wäre nach § 855 BGB nicht der M, sondern der E Besitzer an den Fahrrädern. Übergibt ein Besitzdiener eine Sache, so bedeutet dieses, dass der Besitzer, also der E, die Sache übergeben hat. M ist Besitzdiener, wenn er in einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis zum Besitzer steht und entsprechend diesem Abhängigkeitsverhältnis weisungsgebunden die tatsächliche Gewalt über die Sache für den Besitzer ausübt. Diese Voraussetzungen sind eigentlich bei M erfüllt; er ist im Laden des E angestellt und daher weisungsabhängig, auch übt er die tatsächliche Sachherrschaft über das Fahrrad aus. Indem der M jedoch weisungswidrig das Fahrrad an den K überträgt, gibt er zu erkennen, dass er die tatsächliche Gewalt über das Fahrrad nicht mehr für E ausüben möchte. Er ist daher nicht mehr Besitzdiener des E. Folglich ist das Fahrrad nicht auf Veranlassung des E übertragen worden.
bb)Auswirkungen des Rechtsscheins: Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der M aufgrund der Duldungsvollmacht zur Vertretung des E befugt war (s. o.). Bei der Übergabe handelt sich zwar um einen Realakt auf den die Stellvertretungsregeln nicht anwendbar sind. Hiervon ist jedoch dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Vertreter berechtigt ist, ein Veräußerungsgeschäft zu tätigen, er also Veräußerungsvollmacht hat. In diesem Fall umfasst der rechtgeschäftliche Wille auch den tatsächlichen Willen. Dieses gilt auch dann, wenn nur der Vertreter aufgrund einer Rechtsscheinvollmacht zur Vertretung berechtigt ist. Derjenige der zur Veräußerung befugt ist, kann nicht nur den erforderlichen rechtsgeschäftlichen Willen, sondern auch den tatsächlichen Willen mit Wirkung für und gegen den Geschäftsherrn äußern. Demnach muss sich der E die willentliche Besitzübertragung des M zurechnen lassen. Eine wirksame Übergabe hat daher stattgefunden.

c) Berechtigung des E

Darüber hinaus müsste der E zur Eigentumsübertragung berechtigt sein. Dieses wäre der Fall, wenn E selbst Eigentümer oder aber gem. § 185 BGB anderweitig zur Verfügung befugt wäre. E war Eigentümer des Fahrrades, so dass er zur Eigentumsübertragung berechtigt war. E hat daher sein Eigentum an dem Moped wirksam auf K übertragen.


2. Ergebnis

Ein Anspruch des E gegen K aus §§ 985, 986 BGB scheidet mangels Eigentumsposition des E aus.


II. Anspruch des E gegen K aus § 861 BGB

Möglicherweise hat E gegen K einen Anspruch auf Herausgabe des Fahrrades gem. § 861 BGB. Dies wäre der Fall, wenn dem E als früheren Besitzer der unmittelbare Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen wurde, K fehlerhaft besitzt und kein Ausschlussgrund gem. § 861 Abs. 2 BGB gegeben ist.


1. Früherer Besitz des E

Als Anspruchsteller müsste E also früherer Besitzer gewesen sein. Besitz ist die tatsächliche Sachherrschaft einer Person über eine Sache. Das Fahrrad befand sich in dem Laden des es E, war also dessen unmittelbaren Zugriff ausgesetzt. Somit war E auch unmittelbarer Besitzer des Fahrrades.


2. Besitzverlust durch verbotene Eigenmacht

Weiter ist zu prüfen, ob ihm der Besitz durch verbotene Eigenmacht, § 858 Abs. 1 BGB, entzogen wurde. Verbotene Eigenmacht gem. § 858 Abs. 1 BGB ist jede gesetzlich nicht gestattete Handlung, die den unmittelbaren Besitzer ohne dessen Willen in der Ausübung der tatsächlichen Gewalt über die Sache beeinträchtigt. M war zunächst Besitzdiener des E, so dass er die tatsächliche Sachherrschaft über das Fahrrad für E ausübte. Mit der weisungswidrigen Veräußerung des Fahrrades schwang sich der M jedoch zum Eigenbesitzer auf. Dieses geschah gegen den Willen des E und ist daher eine verbotene Eigenmacht. Der unmittelbare Besitz an dem Fahrrad wurde dem E folglich durch verbotene Eigenmacht entzogen.


3. Fehlerhafte Besitzposition des K

Schließlich müsste der Anspruchsgegner, also K, fehlerhafter Besitzer sein. Gem. § 858 Abs. 2 S. 1 BGB besitzt derjenige fehlerhaft, der den Besitz durch verbotene Eigenmacht erlangt. Es war jedoch nicht K sondern M, der das Fahrrad durch verbotene Eigenmacht an sich gebracht hat. K müsste jedoch die Fehlerhaftigkeit des Besitzes gegen sich gelten lassen, wenn er die Fehlerhaftigkeit des Besitzes seines Vorgängers bei Besitzerwerb kannte, § 858 Abs. 1 S.2 BGB. Bei Besitzerwerb wusste der K jedoch nichts von der weisungswidrigen Handlung des M. Also besitzt K nicht fehlerhaft, ein Anspruch aus § 861 BGB kommt daher nicht in Betracht.


4. Ergebnis

E hat keinen Anspruch gegen K auf Herausgabe des Fahrrades gem. § 861 BG.


III. Anspruch des E gegen K aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB

Dem E könnte ein Anspruch gegen K nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var.1 BGB auf Herausgabe und Rückübereignung des Fahrrades zustehen, wenn K Eigentum und Besitz an diesen durch Leistung des E ohne Rechtsgrund erlangt hat.


1. Kondiktionsgegenstand – „…etwas erlangt…“

Dazu müsste K von E etwas erlangt haben. „Etwas“ i. S. d. § 812 BGB ist jede vermögenswerte Rechtsposition. K hat von E Eigentum (s.o.) und Besitz (s.o.) an dem Fahrrad erhalten. Auch der Besitz als tatsächliche Sachherrschaft ist eine vermögenswerte Rechtsposition und damit „etwas“ i. S. d. § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB.


2. Leistungshandlung

Eigentum und Besitz muss K durch Leistung des E erlangt haben. Leistung ist jede zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens. Fraglich ist, wer vorliegend das Vermögen des K vermehrt hat. Der K denkt, dass der E ihm Besitz und Eigentum an dem Fahrrad verschafft hat. Der M hat jedoch gehandelt. Die Person des Leistenden bestimmt sich im Zweifel nach der Sicht eines objektiven Empfängers. Ein solcher würde davon ausgehen, dass der E und nicht der M das Vermögen des K gemehrt hat. Daher liegt eine Leistung des E vor.


3. Rechtsgrund

Schließlich muss die Leistung des E an K ohne Rechtsgrund erfolgt sein. Dies ist der Fall, wenn kein die Vermögensverschiebung objektiv rechtfertigender Grund vorliegt. Dieser könnte aber in einem zwischen E und K geschlossener Kaufvertrag liegen. Ein Kaufvertrag setzt zwei korrespondierende Willenserklärungen Angebot und Annahme voraus. Der E hat aber keine Willenserklärung abgegeben. Es könnte aber ein Kaufvertrag zwischen K und E zustande gekommen sein, wenn der M als Stellvertreter des E mit dem K einen Kaufvertrag abgeschlossen hat.


a) Zustandekommen des Vertrages zwischen E und K durch wirksame Stellvertretung des E durch M

Das Angebot liegt nicht in der Zeitungsannonce des M, da diese mangels Rechtsbindungswillen keine Willenserklärung darstellt. Vielmehr hat der M das Angebot abgegeben, indem er dem K eines der Fahrräder für 200,- € anbietet. Dieses Angebot müsste sich der E zurechnen lassen, wenn der M ihn nach § 164 BGB wirksam vertreten hat. Der M hat eine eigene Willenserklärung abgegeben (s.o.). Fraglich ist, ob er auch im Namen des E gehandelt hat. M ist zwar im Namen des E aufgetreten, hat aber nicht zum Ausdruck gebracht hat, dass E eine von ihm verschiedene Person ist. K ist vielmehr davon ausgegangen, dass E und nicht M der Erklärende sei. Ein Handeln im fremden Namen liegt demnach nicht vor. M ist vielmehr als E und damit unter dessen Namen aufgetreten. Zudem hatte der M auch keine Vertretungsmacht. Eine wirksame Stellvertretung setzt aber voraus, dass sich die Person des Stellvertreters von dem Vertretenen unterscheidet. Sie scheidet daher aus.


b) Zustandekommen des Vertrages zwischen E und K durch die §§ 164 ff. BGB analog

Ein Kaufvertrag könnte jedoch dennoch zwischen K und E zustande gekommen sein, wenn die Regeln der §§ 164 ff. BGB gelten und der Vertrag im Übrigen zustande gekommen ist. Die Regeln der §§ 164 ff. BGB werden auf die Fälle der Identitätstäuschung analog angewandt. Eine Identitätstäuschung setzt ein Handeln unter fremden Namen voraus, zudem müsste es dem Erwerber gerade auf die Identität seines Vertragspartners ankommen, es dürfte sich daher nicht um einen Fall der schlichten Namenstäuschung handeln. Der M hat unter fremden Namen gehandelt (s. o.). Dem K kam es auch gerade darauf an, den Vertrag mit dem von ihm sehr geschätzten E abzuschließen. Er hätte den Vertrag daher nicht mit M abgeschlossen. Der M hat somit den K nicht bloß über seinen Namen, sondern auch über seine Identität getäuscht.


c) Sonstige Vertragsschlusserfordernisse nach § 164 BGB analog

Die Regeln der §§ 164 ff. BGB gelten daher analog. Das telefonische Angebot des M müsste sich der E dann nach § 164 BGB analog zurechnen lassen, wenn der M Vertretungsmacht besaß. Eine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht hatte der E dem M nicht erteilt (s.o.). jedoch ist der M schon des Öfteren für E aufgetreten, ohne von diesem bevollmächtigt gewesen zu sein und E hatte dieses auch erkannt (s.o.). Demnach könnte eine Vertretungsmacht des M in Form der Duldungsvollmacht vorliegen. Der K hat jedoch, im Unterschied zu dem Geschehen im Laden, nicht auf den Rechtschein vertraut, dass der M Vertretungsmacht besessen hat. Dieses konnte er auch nicht, da er davon ausging, nicht mit dem M sondern mit K zu telefonieren. Die Voraussetzung der Duldungsvollmacht liegen daher eigentlich nicht vor. Hätte der K aber gewusst, dass er mit dem M telefoniert, so wäre er von einer wirksamen Bevollmächtigung des M ausgegangen. Die Voraussetzungen der Duldungsvollmacht lägen vor. Im Ergebnis stünde der K daher jetzt schlechter, weil er davon ausgeht, nicht mit M sondern mit dem E zu telefonieren. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen erscheint es daher sachgerechter trotzdem die Regeln der Rechtscheinvollmacht anzuwenden.1 E muss sich daher das Angebot des M zurechnen lassen. Dieses Angebot hat K auch angenommen. Es liegt daher eine wirksamer Kaufvertrag vor. E hat somit mit Rechtsgrund geleistet.


4. Ergebnis

E hat daher keinen Anspruch gegen K auf Verschaffung des Eigentums und des Besitzes an dem Fahrrad gegenüber K gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB.


1 Andere Ansicht bei entsprechender Argumentation vertretbar.



Quellennachweis

https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb5/prof/ZIV008/AG2_Fall1_Loesung.pdf

Übungsaufgaben – Vertretungsmacht

https://ste-u-err-echt.com/uebung-12/

Grundlagen des Zivilrechts – Die Stellvertretung

https://ste-u-err-echt.com/stellvertretung/

Grundlagen des Zivilrechts – Willenserklärung

https://ste-u-err-echt.com/WILLENSERKLAERUNG/

Art. 8 EGBGB

https://ste-u-err-echt.com/art8/

Grundlagen des Zivilrechts – Geschäftsfähigkeit

https://ste-u-err-echt.com/ZIVILRECHT/
Übungsaufgabe 3 – Vertretungsmacht

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