† BGH, Urteil vom 26.06.1952 – III ZR 305/51 (Düsseldorf)
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† Urteil des Bundesgerichtshofs
vom 26.06.1952 – III ZR 305/51


DBG §§ 60, 163;
 BGB § 123;
Ges. zu Art. 131 GG v. 11.5.1951 § 63;
1. SparVO NRW v. 19.3.1949


a) In der Übergangszeit nach dem Zusammenbruch war eine Entlassungsverfügung auch dann wirksam, wenn sie dem Beamten nicht in der Form des § 163 DBG zugegangen ist.

b) Eine Drohung im Sinne des § 123 BGB liegt nicht vor, wenn der Anfechtungsgegner (AnfGg.) dem Anfechtenden nur eine objektive vom AnfGg. nicht zu ändernde Zwangslage vor Augen hält.

c) Wird ein Beamter auf seinen Antrag hin entlassen, hat er aber seinen Entlassungsantrag nur deshalb gestellt, weil seine Behörde ihn dazu in seinem eigenen Interesse veranlasst hat, um ihn vor Unannehmlichkeiten wegen seiner politischen Vergangenheit zu bewahren, so ist er ebenso zu behandeln, als ob er aus anderen als beamtenrechtlichen Gründen sein Amt verloren hätte.


Der Kläger war Stadtsekretär der Beklagten. Nach kurzem Kriegsdienst hat er im Juni 1945 seinen Dienst wieder angetreten. Am folgenden Tage hat er den ausgefüllten Fragebogen für die amerikanische MilReg. in zwei Stücken bei der Beklagten eingereicht. Der eine Fragebogen wurde von der Beklagten sofort an die MilReg. weitergegeben, das andere Stück blieb im Besitz der Beklagten. Im August 1945 wurde der Kläger wegen einer Unkorrektheit versetzt. Wegen Unstimmigkeit in seinem Fragebogen wurde ihm nahegelegt, seine Entlassung zu beantragen, da die Beklagte ihn sonst wegen Fragebogenfälschung bei der MilReg. anzeigen müsse. Auf seinen Entlassungsantrag hin erging die Entlassungsverfügung vom 21.08.1945. 1948 ist der Kläger im Entnazifizierungsverfahren in Kategorie V eingereiht worden.

Der Kläger macht aus diesem Sachverhalt Versorgungsansprüche bzw. Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte geltend.

Das Landesgericht (LG) hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht (OLG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Seine Revision hatte Erfolg.


Aus den Gründen

1.

Es kann davon ausgegangen werden, dass nach den Feststellungen des Vorderurteils die Entlassungsverfügung dem Kläger nicht in der nach §163 DBG vorgeschriebenen Form zugestellt worden ist. Die hierauf gestützte Rüge des Klägers ist indessen nicht begründet. Der Kläger hat zwar nach seiner eigenen Einlassung die Entlassungsverfügung der Beklagten erhalten. Das RG hat aber in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass Mängel in der Zustellung die Bekanntgabe auch dann unwirksam machen, wenn der Beamte auf andere Weise Kenntnis von dem Inhalt der Mitteilung erlangt hat (RGZ 163, 181 [186]; 164, 72 [77]; 166, 296 [299]; ebenso Brand, Das Deutsche Beamtenrecht, 4. Aufl. Anm. 4 zu §163 DBG). Auf der anderen Seite vertreten Fischbach (DBG Anm. IV zu § 163) und Nadler-Wittland (DBG Anm. 25 zu §163) die Ansicht, dass die ohne oder durch fehlerhafte Zustellung erfolgte Bekanntgabe als ordnungsgemäß bewirkt anzusehen ist, wenn der Empfänger in den Besitz der Bekanntgabe gelangt ist und die Form der Mitteilung nicht unverzüglich beanstandet, da der Zweck der Zustellung lediglich in der sicheren Übermittlung der Entscheidung an den Empfänger bestehe, ein etwaiger förmlicher Mangel in der Bekanntgabe mithin im Falle sachlich zutreffender Übermittlung der Nachricht nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein könne.- Das Formerfordernis der Zustellung erweise sich daher, wie Fischbach (aaO) ausführt, nur in dem Falle von Bedeutung, wo nicht festgestellt werden könne, ob und wann die Bekanntgabe erfolgt sei; in diesem Falle habe der Dienstherr die Folgen zu tragen. Der Senat hat sich der Auffassung des RG angeschlossen, wonach, die Zustellung nach §163 DBG ein wesentliches Formerfordernis für die Wirksamkeit der Bekanntmachung einer zustellungsbedürftigen Verfügung ist und wonach ein etwaiger Mangel in der Form der Bekanntmachung nicht durch einen anderweitigen Zugang der betreffenden Verfügung geheilt werden kann (BGHZ 3, 1 [30] = LM Nr. 2 zu §35 DBG). Dies kann aber nicht ausnahmslos gelten. Der Senat hat bereits in derselben Entscheidung (aaO S. 28) ausgeführt, dass bei der Begründung eines Beamtenverhältnisses auf Widerruf zwar grundsätzlich an dem Formerfordernis, dass die Ernennungsurkunde die Worte „unter Berufung in das Beamtenverhältnis” enthalten müsse, festzuhalten sei, dass aber in der Übergangszeit nach dem Zusammenbruch ein solches Beamtenverhältnis auch ohne diese Form habe entstehen können. Im Anschluss daran hat der Senat in einer weiteren Entscheidung v. 29.05.1952 (III ZR 223/51) ausgesprochen, dass auch für das Formerfordernis der Zustellung nach §163 DBG für die Übergangszeit nach dem Zusammenbruch die gleiche Ausnahme gelten müsse. Die Voraussetzungen für eine solche Toleranz gegenüber der Formvorschrift des §163 DBG sind hier aber ebenfalls gegeben. Die Entlassung des Klägers erfolgte zu einer Zeit, in der infolge des Umsturzes und den dadurch bedingten starken personellen Veränderungen bei allen Behörden Entlassungen in großem Umfange stattfanden und sich die Behörden überdies über die Weitergeltung des DBG in allen Einzelbestimmungen noch nicht im klaren waren. Dies zeigt sich auch in der Bek. des OLGPräs. in Hamm v. 31. 1. 1946 (JBl. f. Westf. u. Lippe 46, 7), wonach ein großer Teil der Vorschriften des DBG darunter auch der §163, vorübergehend außer Kraft gesetzt wurde. Mag diese Bek. auch auf den vorliegenden Fall nicht unmittelbar anwendbar sein, weil sie zeitlich erst später erfolgte und es auch zweifelhaft ist, ob ihr örtlicher Geltungsbereich sich auf die Beklagte erstreckte, so beleuchtet sie doch die damalige allgemeine Unsicherheit über die Fortgeltung der Vorschriften des DBG. Es bestehen daher keine Bedenken, die Entlassungsverfügung trotz dieses Formmangels angesichts der damaligen besonderen Verhältnisse als wirksam zugegangen und gültig anzusehen, dies um so mehr, als der Kläger sie nach seiner eigenen Einlassung erhalten und die mangelhafte Form der Bekanntgabe bisher nicht beanstandet hat.


2.

Ein weiterer Angriff der Revision richtet sich gegen die Auffassung des Berufungsgerichts (BerGer.), dass die zuständigen Beamten der Beklagten keine die Anfechtung des Entlassungsantrags nach §123 BGB rechtfertigende Drohung ausgesprochen hätten. Diese Auffassung lässt keinen Rechtsirrtum erkennen. Die Anfechtung einer öffentlich-rechtlichen Willenserklärung von Privatpersonen wegen Drohung ist zwar an sich möglich (RGZ 134, 162 [171]). Mit Recht sieht aber das Berufungsgericht (BerGer.) in dem Verhalten der Beamten der Beklagten keine eine Anfechtung nach § 123 BGB rechtfertigende Drohung. Eine widerrechtliche Drohung i. S. des § 123 BGB liegt dann vor, wenn auf die Freiheit der Willensbestimmung des Erklärenden eingewirkt wird und der Drohende, selbst wenn er sich an sich erlaubter Mittel bediente, auf die Leistung, zu der sich der Erklärende unter der Einwirkung des Druckes verpflichtete, kein Recht hatte (RG WarnRspr. 13, 230 Nr. 186). Es genügt auf der anderen Seite aber nicht ein Hinweis auf „die bloße Tatsache, dass die schon bestehenden Verhältnisse von selbst mit Sicherheit, Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit ein künftiges Übel befürchten lassen, auch wenn der Anfechtungsgegner (AnfGg.) darauf zum Zwecke der Willensbestimmung hingewiesen hat” (RG, JW 05, 200). Eine Drohung liegt also nicht vor, wenn es sich nur um einen Hinweis auf eine objektive, vom Willen des Anfechtungsgegners (AnfGg.) unabhängige Zwangslage handelt.

Das war aber hier der Fall. Das Berufungsgericht (BerGer.) hat ohne Rechtsirrtum festgestellt, dass der Kläger sich durch das Verschweigen seiner Tätigkeit als Blockleiter der NSDAP einer Fragebogenfälschung schuldig gemacht hat und mit einer Bestrafung rechnen musste. Faktisch hätte die Beklagte allerdings von der Erstattung einer Anzeige absehen können. Sie hätte sich aber damit über ihre von der MilReg. auferlegte Anzeigepflicht hinweggesetzt und ihre Beamten hätten sich damit selbst dem Risiko einer Bestrafung ausgesetzt. Sie mussten auch damit rechnen, dass eine Unterlassung der Anzeige wahrscheinlich nur eine vorübergehende Vergünstigung für den Kläger bedeutet hätte und dass die MilReg. die Fragebogenfälschung über kurz oder lang selbst entdeckt und dann nicht nur den Kläger, sondern auch die Beamten der Beklagten bestraft hätte. Hinzu kommt, dass die Beklagte auch noch selbst unter dem Druck der damals naturgemäß stark antinatsoz. eingestellten Betriebsvertretung stand und mit deren Kontrolle und Anzeige rechnen musste. Bei den damaligen Verhältnissen befand sich die Beklagte also selbst in der Zwangslage, den Kläger entweder anzuzeigen oder zur Abgabe eines Entlassungsantrages zu veranlassen. Damit entfällt aber das für die Annahme des §123 BGB wesentliche Merkmal eines von dem Willen des Anfechtungsgegners (AnfGg.) abhängigen Übels. Die Beklagte hat somit dem Kläger damals lediglich die objektive, auch von der Beklagten nicht zu ändernde Zwangslage vor Augen gehalten und diese, nicht ein vom Willen der Beklagten abhängiges Übel, hat den Kläger veranlasst, auf Grund eigener Überlegung das ihm damals geringer erscheinende Übel zu wählen, nämlich seine Entlassung zu beantragen.


3.

Das Berufungsgericht (BerGer.) hat Ansprüche des Klägers aus der 1. SparVO NRW vom 19.03.1949 (GVBl. NRW 49, 25) und aus dem BundesG nach Art. 131 GG vom 11.05.1951 (BGBl. I 307) verneint, da das Beamtenverhältnis des Klägers durch seinen Entlassungsantrag und seine Entlassung nach §60 DBG erloschen sei und er infolgedessen sein Amt nicht aus anderen als beamtenrechtlichen Gründen verloren habe.

Der hiergegen gerichtete Angriff der Revision ist begründet. Es ist zwar richtig, dass das Ausscheiden des Klägers aus dem öffentlichen Dienst auf §60 DBG beruht. Das BerGer. verkennt aber, dass bei Beurteilung der Frage, ob der Kläger nur aus beamtenrechtlichen Gründen ausgeschieden ist, sein Entlassungsgesuch nicht losgelöst von den Gründen desselben betrachtet werden kann. Die wirklichen Gründe waren unstreitig die politische Betätigung des Klägers in der NSDAP und die daraus herrührende Fragebogenfälschung mit der Aussicht auf die entsprechenden Schritte, die die MilReg. daraufhin unternehmen werde. Diese Gründe waren aber rein politischer und nicht beamtenrechtlicher Natur. Das Entlassungsgesuch wurde von dem Kläger nur unter dem Zwang dieser politischen Tatsachen eingereicht. Es wurde im vorliegenden Fall nur auf den Rat des Dienstherrn hin in die beamtenrechtliche Form der Entlassung auf Ansuchen gewählt, um den Kläger vor weitergehenden Unzuträglichkeiten zu schützen. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass die Beklagten nach ihrer eigenen Einlassung damals nur das Wohl des Klägers im Auge hatte. Die Beklagte stellt sich also, wenn sie jetzt den Kläger als einen aus beamtenrechtlichen Gründen ausgeschiedenen Beamten behandelt wissen will, in Widerspruch zu ihrem eigenen früheren Verhalten. Nachdem sie ihn zu seinem Besten veranlasst hat, seine Entlassung zu beantragen, kann er nicht nur deswegen, weil er gegen seinen inneren Willen diesen Rat befolgt hat, rechtlos gestellt werden. Unter diesen Umständen besteht vielmehr kein Anlass, den Kläger nur deshalb aus formellen Gründen schlechter zu stellen, als wenn er damals seine Entlassung nicht eingereicht hätte und dann wahrscheinlich bald darauf auf Befehl der MilReg. entlassen und bestraft worden wäre. Der Kläger ist daher trotz seines formellen Antrags als nicht aus beamtenrechtlichen Gründen entlassen anzusehen.

Da er im Entnazifizierungsverfahren in die Kategorie V eingereiht wurde, stehen ihm die Gehaltsansprüche nach §§ 3, 4, 8, 11 der 1. SparVO und für die Zeit nach dem 1.05.1951 auch nach §§ 63, 11, 19 ff. des Ges. vom 11.05.1951 zu.



Grundlagen des Zivilrechts – Urteile zur widerrechtlichen Drohung

https://ste-u-err-echt.com/urteile-2/

Grundlagen des Zivilrechts – Willenserklärung

HTTPS://STE-U-ERR-ECHT.COM/WILLENSERKLAERUNG/

Grundlagen des Zivilrechts – Anfechtung

† BGH, Urteil vom 26.06.1952 – III ZR 305/51 (Düsseldorf)

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